Krafttraining im Radsport

Theorie

Als erstes müssen wir den Begriff "Kraft" definieren. Oft erzählen Radsportler:innen, ihnen sei am Berg "die Kraft ausgegangen". Diese Aussage ist so nicht korrekt. Richtig wäre: "mir ist der Sauerstoff in den Muskeln ausgegangen". Denn bereits ab einer Belastungsdauer von 2 Minuten ist der Anteil der Ausdauer für die Leistungsfähigkeit viel grösser, als der Kraftanteil. Je länger die Belastungsdauer, umso kleiner wird der Kraftanteil. Wenn du also eine Steigung (für die du 5 Minuten brauchst) mit maximaler Durchschnittsleistung hochfahren willst, du aber kurz vor Schluss "einbrichst", ist dies fast ausschliesslich ein Problem des fehlenden Sauerstoffs in den Muskeln. Oder anders gesagt, dein Vo2max (maximale Sauerstoffaufnahme) ist nicht gut genug. Ist die Belastungsdauer jedoch unter 2 Minuten – z.B. ein 1Km Zeitfahren auf der Bahn – ist die Bedeutung der Kraft bereits sehr gross. 

 

In der Praxis

Die meisten von euch brauchen also primär eine möglichst hohe Vo2max, anstatt möglichst viele Muskeln. Dennoch macht Krafttraining auch im Strassenradsport Sinn. Dies belegt eine Studie – welche die Leistungssteigerung für Ausdauersportler:innen quantifiziert. Dabei wurden 20 Elite-Radsportler in 2 Gruppen unterteilt. Eine Gruppe trainierte während 10 Wochen nur Grundlagenausdauer. Die andere Gruppe ebenfalls Grundlagenausdauer, jedoch 1.5h weniger Radtraining dafür 2x pro Woche ein Krafttraining zusätzlich. Vor und nach den 10 Wochen wurde die Leistung bei einem 40min All-Out- Zeitfahren gemessen. Jene die Krafttraining machten, hatten eine 5% höhere Leistung. Dies hört sich nach viel an, doch sind wir von Wyss Training der Meinung, dass der Unterschied deutlich kleiner wäre, hätte die Ausdauer-Gruppe vergleichbare "Intervalle" auf dem Rennrad gemacht, anstatt nur Grundlagenausdauer. So oder so wäre die Gruppe mit Krafttraining sicher stärker aus den 10 Wochen gekommen.

Jetzt mögen viele sagen, dass bei einem 40min Zeitfahren nur die absolute Wattleistung zählt, im Radsport jedoch die relative Leistungsfähigkeit (Watt/Kg) oft wichtiger ist. So haben Radsportler:innen oft  angst, mit dem Kraft-Training an Muskeln und damit an Gewicht zuzulegen. Diese Angst ist aber für die meisten unbegründet. Vor allem Sportler:innen mit einem mittleren bis grossen Trainingsvolumen von mehr als 9h Ausdauertraining pro Woche, werden selbst mit Hypertrophie-Krafttraining keinen oder nur sehr wenig Muskel– und damit Gewichtszuwachs haben. Dies weil der sogenannte "katabole Reiz" des Ausdauertrainings so lange nachhallt, dass es den "anabolen Reiz" des Krafttrainings stark beeinflusst und so das Muskelwachstum hemmt.

An dieser Stelle möchten wir noch die verschiedenen Kraft-Training-Arten erläutern. Oben erwähnt, haben wir das Hypertrophie-Training. Hier wird ein Muskelzuwachs (Querschnittvergrösserung) angestrebt. Dann gibt es das Maximalkraft-Training, das Schnellkraft-Training und schliesslich das Reaktivkraft-Training. Oft erwähnt wird auch das Kraftausdauer-Training. Von diesem Begriff möchten wir uns aber distanzieren, weil er impliziert, dass Kraft und Ausdauer gleichzeitig trainiert werden können. 

 

Unser Tipp 

Vor allem für ältere Sportler:innen ab 35 Jahren (sorry für alle 36-jährigen, aber ja, mit 36 gilt man im Sport als "alt"), wird Krafttraining immer wie wichtiger, da man ab diesem Alter stetig Muskeln verliert, wenn man nichts tut. Wir empfehlen daher im Winter 2x Kraft-Training pro Woche und während der Saison 1x pro Woche. Dabei solltest du erst mit wenig Gewicht und viel Wiederholungen (WH) trainieren. Nach 6 Wochen solltest du das Gewicht erhöhen und die WH stetig reduzieren, bis zum Hypertrophie-Training, bei dem du 8-10 WH machst. Schliesslich folgt das Maximalkraft-Training mit maximalem Gewicht und 3-5 WH und zum Schluss – wieder mit etwas weniger Gewicht – dafür maximaler Geschwindigkeit, das Schnellkraft-Training. 

 

Weitere Infos

Jetzt fragst du dich sicher, wie genau denn so ein Krafttraining für Radsportler aussehen muss. Mehr dazu in unserem nächsten Beitrag.

Literatur:  Rønnestad BR, Hansen J, Nygaard H. 10 weeks of heavy strength training improves performance-related measurements in elite cyclists. J Sports Sci. 2017 Jul;35(14):1435-1441.